Mai 2021

Nachbarschaftsliebe

Dem Konfliktpotential mit Augenmass und Toleranz begegnen.

Das Zusammentreffen von unterschiedlichen Generationen, Kulturen und
Lebensweisen in Mehrfamilienhäusern bringt ein erhebliches Konfliktpotenzial
mit sich.

Nachbar José hat die Rasenfläche vor seiner Eigentumswohnung in ein Gemüsebeet umfunktioniert. So kann er direkt vor der Haustür seinem Hobby frönen. Auch Mieter Kevin widmet sich dem Pflanzenanbau. Allerdings auf dem Balkon im zweiten Stock gleich über José. Dieser pflegt allerdings seine Ernte direkt nach der Verarbeitung auf dem
Balkon zu konsumieren, wobei er mit der dadurch produzierten Asche die Geranien von Heidi im ersten Stock düngt und süssliche Duftwolken in der Umgebung verströmt. Heidi liebt Katzen und ihr Schwiegersohn hat deshalb eine behelfsmässige Leiter eingerichtet, über welche sich Heidis Katzen bequem in José's Garten begeben können. José kann sich indessen nicht so richtig mit dieser Leiter und noch viel weniger mit den Hinterlassenschaften von Heidi's Katzen anfreunden.


Wie Sie sehen, schlummert in vermeintlichen Kleinigkeiten erhebliches Konfliktpotenzial: José muss indessen nicht viel befürchten. Die Rasenfläche vor seiner Terrasse dürfte eine Sondernutzungsfläche darstellen. Er darf diese grundsätzlich frei nutzen. Allerdings darf die Nutzung keine übermässigen Auswirkungen auf die Nachbarn haben. Ein Komposthaufen direkt neben dem Sitzplatz der Nachbarn wäre daher wohl kaum
zulässig. Genau dies dürfte für Kevin zum Problem werden: Je nach Ausmass dürften die durch ihn verursachten Emmissionen nicht zumutbare Auswirkungen auf die Nachbarn haben. Heidi's Katzentreppe stellt wohl eine luxuriöse bauliche Massnahme dar, welche grundsätzlich von allen Stockwerkeigentümern einstimmig beschlossen werden müsste. José wiederum hätte wenig Handhabe, um sich zu wehren, wenn Heidi's Katzen seinen Garten mit einem WC verwechseln. Dies zumindest solange, als die Katze den Garten
von José lediglich in einem für Katzen üblichen Mass beansprucht. Das Zusammenleben ist meist wesentlich einfacher, wenn man zwischendurch ein Auge zudrückt. Man erfährt dann sicherlich auch mehr Toleranz, falls man eines Tages aufgrund des eigenen Verhaltens selber aneckt.

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Cristian Torrado
Rechtsanwalt

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